Wer sich ältere Klarinetten-Mundstücke genauer anschaut, wird hier und da anmutig erscheinende Rillen und Vertiefungen erkennen.
Die Ursache hierfür liegt in den meisten Fällen beim Vorbesitzer, der das Mundstück ohne Bissplatte (auch Bissgummi genannt) gespielt hat. Die Bissplatte ist eine dünne Gummiauflage, die oftmals selbstklebend auf das Mundstück aufgebracht wird. Sie verhindert den direkten Kontakt zwischen Zähnen und Mundstück. Dadurch wird einerseits die Übertragung von unangenehmen Schwingungen vermindert, andererseits das Mundstück vor Beschädigungen durch die eigenen Zähne, deren Bestandteile ja bekanntlich zu den härtesten Materialien im Körper zählen, geschützt. Gleichzeitig sorgt die Bissplatte für einen besseren Halt des Mundstücks im Mund und damit für eine Optimierung des Ansatzes.
Wer sich einmal an das gute Spielgefühl mit der Bissplatte gewöhnt hat, kann oftmals nicht mehr ohne. Besonders bei Metallmundstücken, die eher bei Saxophonen zu finden sind, schützt eine Bissplatte sogar vor Zahnschmerzen. Menschen mit empfindlichen Zähnen kennen das unangenehme Gefühl, wenn kaltes Metall den Zahnnerv reizt.
Außerdem werden durch einen Bissgummi die Vibrationen des Mundstücks, die sonst direkt auf die Zähne treffen, stark reduziert. Durch diese Dämpfung erhält man einen anderen Klangeindruck des eigenen Tones. Ein interessanter Effekt, da ja über die Zähne und den Schädelknochen weniger Schwingungen zum Trommelfell kommen. Deswegen hören sich übrigens Aufnahmen vom eigenen Klarinettenspiel oftmals anders an, als was man beim Musizieren mit der eigenen Klarinette selbst hört.
Eine Bissplatte ist darum sehr empfehlenswert. Sie wird einfach auf das Mundstück geklebt. Die Montage kann auch von Laien problemlos ausgeführt werden. Die Gummis gibt es in unterschiedlichen Stärken und sollten nicht zu dünn gewählt werden. Wer auf Nummer Sicher gehen will, nimmt die Stärken zwischen 0,4 mm und 0,8 mm. Vor der Montage sollte das Mundstück sorgfältig mit Geschirrspülmittel gereinigt werden, damit die Klebestelle auch hält. Die Haltbarkeit beträgt hier bis zu 3 Jahren. Eine preisgünstige Investition, die sich auf jeden Fall lohnt.
Die Oehler-Klarinette (kurz Oehler-System genannt), bildet bis zum heutigen Tage, die mechanische und akustische Grundlage der meisten Klarinetten in deutscher Bauweise. Ihr Schöpfer, Oskar Oehler, schuf damit in unvergleichlicher Perfektion die moderne deutsche Klarinette, welche besonders durch ihren einzigartigen Klang für weltweite Anerkennung sorgte. Die Oehler-Mechanik wird bis heute unverändert von vielen Herstellern deutscher Klarinetten gebaut. Sie zählt als Standard für professionelle Instrumente und als letzte große Entwicklungsstufe der deutschen Klarinette.
Der nachfolgende Artikel, befasst sich mit dem Lebenslauf von Oskar Oehler (geb. am 2. Februar 1858 in Annaberg (Erzgebirge); † 1. Oktober 1936 in Berlin) und soll dem Leser Einblicke in dessen Wirken als Künstler, Instrumentenbauer sowie als Mensch geben.
Elternhaus und Kindheit:
Oskar Oehler wurde als Sohn eines Webers (August Friedrich, geb. am 26. Mai 1830; † 23. November 1914), und seiner Mutter Frau Christiane Eleonore (geborene Störzel; geb. am 24. November 1827; † 18. Dezember 1870) unehelich am 2. Februar 1858 im sächsischen Annaberg (Erzgebirge), südwestlich von Dresden geboren. Die Hochzeit war zu diesem Zeitpunkt schon in Vorbereitung, konnte aber erst nach der Geburt Oehlers wegen bürokratischen Hindernissen vollzogen werden. So ersuchte sein Vater August Friedrich für sich und seine Verlobte Christiane Eleonore im Oktober 1857, die Erteilung des Bürgerrechts in Weida, ohne das eine Trauung in der damaligen Zeit nicht möglich war. Die Erlaubnis hierzu erhielt er aber erst am 4. Januar 1858.
Am 15. Februar 1858 wurde Oehler in Annaberg getauft. Er wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf, das sollte sich aber noch als Segen herausstellen, da er daraus die Kraft und Motivation für seine spätere Tätigkeit als Klarinettist und Tüftler schöpfte. Trotz umfangreicher Bemühungen durch seinen Vater August (jener erwarb 1859 das Meisterrecht als Webermeister), seine Familie zu ernähren, kam es in dieser schwierigen Zeit immer wieder zu kritischen, wirtschaftlichen Tiefpunkten. So schrieb der Vater am 2. Oktober 1861:“Die Arbeit geht jetzt so schlecht, dass ich nicht einmal das Brot für mich und meine Familie erschwingen kann“. Seine zeitweise Tätigkeit 1862 im Chausseenbau, spülte wenigstens in dieser Zeit einige Taler in die Haushaltskasse und konnte so die größte Not der Familie etwas lindern.
Die Kindheit und Jugend Oehlers war geprägt, von großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen. So setzte sich in jener Zeit immer mehr die Industrialisierung durch. Die feudale Ständeordnung wurde zunehmend von einer Gesellschaft mit mehr Bürgerrechten abgelöst. Als Antwort auf die politischen Änderungen, die als Folge der Französischen Revolution zu verstehen sind, hatten zahlreiche europäische Geschlechter des Hochadels ebenfalls Reformen in ihren Territorien eingeleitet. Trotz der napoleonischen Niederlage, blieben doch viele bedeutsame Änderungen bestehen und schufen die Grundlagen für eine bürgerliche Gesellschaft. Hineingeboren, in diese harte und doch sehr spannende Zeit, voller neuer Ideen, Inspirationen, Not und Umbrüchen, versuchte Oskar Oehler seinen Weg zu finden, was ihm auch letztendlich gelang.
Jugend und Ausbildung:
Geprägt durch die große Not der vergangenen Jahre, entschloss sich Oehlers Vater, August Friedrich, seinen Sohn das Handwerk eines Orgelbauers erlernen zu lassen. Die Hoffnung hierbei ruhte auf der Annahme, dass Oskar so vor dem Schicksal der Armut bewahrt bliebe, da der Orgel- wie auch Instrumentenbau im 19. Jahrhundert vom Aufschwung ergriffen war.
Diese Entscheidung sollte sich im Nachhinein noch als äußerst nützlich entpuppen, da Oehler in seiner Lehre als Orgelbauer auch handwerkliche Fähigkeiten erlernte, die ihm beim Bau und der Entwicklung des Oehler-Klarinetten-Systems sehr nützlich waren. Besonders die Gestaltung und Bearbeitung der Orgelpfeifen und die Optimierung ihres Klanges, dürften ihm eine große Hilfe beim Klarinettenbau gewesen sein.
Mit 15 Jahren kam Oehler im sächsischen Weida, bei Orgelbauer Wilhelm Herrmann Schilling in die Lehre. Dies ist zwar nicht zu 100 % verbürgt, jedoch liegt die Annahme sehr nahe, da Schilling in dieser Region der einzige Vertreter im Orgelbau war. Während seiner Lehre, konnte Oehler sich wie schon erwähnt, große Kenntnisse im Instrumentenbau speziell beim Bau von Orgelpfeifen aneignen.
In der Lehrzeit beschäftigte sich Oehler auch mehr und mehr mit dem Musizieren auf der Klarinette. So konnte er damit einerseits seine Freizeit sinnvoll verbringen, andererseits brachte ihn das Klarinetten-Spiel auf wundersame Art und Weise dorthin, wozu ihn sein Schicksal bestimmt hatte, der Entwicklung eines großartigen Klarinetten-Systems mit internationaler Anerkennung. Ein weiterer Schritt war die Mitgliedschaft in der Stadtkapelle Weida. Hier sammelte Oehler seine erste, prägende Orchestererfahrung in einem stadtbekannten Laien-Klangkörper. Auch das trug zu seiner persönlichen und musikalischen Entwicklung erheblich bei.
Seine außergewöhnlichen guten Leistungen auf der Klarinette sprachen sich schnell herum. Schon bald erhielt Oehler ein Engagement beim Theaterorchester Halle. Sein Bekanntheitsgrad stieg schnell und auch andere Orchester wurden auf ihn aufmerksam. So führte ihn seine musikalische Laufbahn nach Nizza (durch Müller-Berghaus) über das Hamburger Laube-Orchester schlussendlich nach Berlin. Dort soll er Mitbegründer des Berliner Philharmonischen Orchesters gewesen sein, dem er von 1882 bis zum Jahre 1888 angehört hatte. Leider ist es aber auch so, dass viele Aufzeichnungen durch die nachfolgenden Unruhen und Kriegsjahre für immer verloren gegangen sind. Meine Recherchen deuten aber stark darauf hin, dass die Laufbahn von Oehler so, oder so ähnlich erfolgt sein muss.
Prägend waren auch in dieser Zeit Kontakte zu dem hervorragenden Friedrich August Neff (Hofkapelle Kassel) oder auch Carl Ludwig Wilhelm Baermann, dem berühmten Klarinetten-Virtuosen aus München (geb. 24. Oktober 1811; † 24. Mai 1885). Spohr selbst schrieb nebenbei bemerkt einmal über Neff:“Daß Herr Neff, der erste Clarinettist unserer Hofkapelle, nicht nur ganz unfehlbar seinen Platz im Hoftheaterorchester ausfüllt, und die da vorkommenden Soli immer unter großem Applaus des Publikums vorträgt, sondern auch ein ausgezeichneter Virtuose seines Instruments ist und z.B. meine für Hermstedt geschriebenen Clarinett-Kompositionen in höchster Vollendung vorträgt, wird demselben hiermit der strengsten Wahrheit gemäß bescheinigt. Louis Spohr. Kurhessischer Generalmusikdirector. Cassel den 31sten Januar 1858″.
In dieser Zeit führte Oehler quasi ein Doppelleben. Einerseits befasste er sich mit der Herstellung von Mundstücken und der Verbesserung der Klarinette, andererseits war er sehr aktiv als Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern tätig. Nach reiflicher Überlegung entschied er sich 1887 für den Bau von Klarinetten und gründete seine eigene Berliner Werkstatt. 1888 beendete Oskar Oehler seine ständige Mitgliedschaft bei den Berliner Philharmonikern, zum großen Bedauern seiner dortigen Musiker-Kollegen. Er hatte seinen Weg gefunden!
Werkstatt und weitere Lebensabschnitte bis zum Ersten Weltkrieg:
Die bereits im Jahre 1887 von Oskar Oehler errichtete Klarinetten-Werkstatt in der Alvenslebenstraße 24, in Berlin-Schöneberg, gewann schnell an Bekanntheit. In der Anfangsphase glänzte Oehler vor allem mit dem Bau von hochwertigen Mundstücken, die sehr beliebt waren. Hier konnte er mit seinen Erfahrungen im Orgelpfeifenbau punkten. Im Jahr 1890 zog Oehler dann in seine neue Werkstatt in die Katzlerstraße 8 um, die nur ca. 800 m von der alten entfernt war. Erstaunlich war vor allem die Tatsache, dass er schon zu diesem Zeitpunkt Klarinetten, Fagotte, Kontrafagotte, Flöten, Piccoloflöten, Oboen und Englischhörner anbot. Woher er dieses umfangreiche Wissen, in so kurzer Zeit hatte, bleibt nur reine Spekulation. Vermutet wird aber, dass Oehler sich schon frühzeitig, d. h. viele Jahre vor der Werkstatteröffnung mit dem Bau und der Entwicklung von Holzblasinstrumenten in seiner Freizeit befasst hatte. Außerdem gibt es die Annahme, dass er Maschinen und schon vorgefertigte Instrumente von anderen Werkstätten bezog. Diese wurden dann mit erfahrenen, geworbenen Mitarbeitern bis zur Perfektion unter seiner Anleitung optimiert. Nur das erklärt seinen plötzlichen Vorsprung, gegenüber anderen Instrumentenbauern. Unbestritten ist jedoch, dass die Basis zur Entwicklung des Oehler-Systems die Baermann-Ottensteiner-Klarinette darstellte. In einer der wenigen Werbeschriften von 1888 verwies der Meister eindeutig darauf, dass es sich bei seiner Klarinette um eine Weiterentwicklung der Baermann-Ottensteiner handelt.
In den ersten Jahren versuchte Oehler noch mit Werbung für seine Werkstatt Aufmerksamkeit zu erringen. Schon bald war dies nicht mehr notwendig, und sein Geschäft ein Selbstläufer. Die Nachfrage stieg von Tag zu Tag, Anfragen aus Hamburg, Oldenburg, Schwerin bis hinunter Köln und sogar dem fernen München sorgten für eine klingelnde Kasse. Das alles nur durch reine Mundpropaganda bedingt durch eine, für die damalige Zeit, überragende Qualität. Willige Helfer fanden sich schnell, namhafte Musiker, wie z. B. der Königliche Kammervirtuose Pohl oder auch der Königliche Kammermusikus Schubert äußerten sich „höchst lobend“ über die Arbeiten des Meisters. Dies trug am Schluss dazu bei, dass am 16. Juli 1906 Oehler der Titel eines „Kaiserlich und Königlichen Preußischen Hoflieferanten“ verliehen wurde. Als gerichtlich vereidigter Sachverständiger für Holzblasinstrumente, war Oehler außerdem tätig. Seine Sachkenntnisse galten auch vor Gericht als sehr wertvoll.
Bis zum Jahr 1914 eilte Oehler mit seiner Werkstatt von einem Erfolg zum Nächsten. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es natürlich auch bei ihm zu Geschäftseinbußen, die sich aber bedingt durch die überragende Qualität seiner Instrumente im überschaubaren Rahmen hielten.
Hier eine Aufstellung der wichtigsten Mitarbeiter Oehlers:
– Johann Voigt bis ca. 1890 – Richard Wunderlich bis ca. 1903 – Josef Rouschil ab 1903 bis ca. 1963
Insgesamt wurden zeitweise bis zu 10 Mitarbeiter, je nach Auftragslage, in Oehlers Werkstatt beschäftigt. Hervorzuheben sei noch, dass Oehler bereits seit 1888 enge Geschäftsverbindungen zur Firma und dem Holzblasinstrumentenmacher Friedrich Gustav Uebel pflegte. Das erklärt auch, die schnelle Entwicklung von Oehlers Werkstatt. Eine sich immer wieder gegenseitig, inspirierende, langjährige Partnerschaft war geboren.
Abnehmer der beliebten Oehler-Instrumente waren fast alle größeren deutschen Militär-Orchester, Hof und Staats-Orchester, sowie große Orchester in Amerika (New York, Chicago, Boston). Die Übergabe der wertvollen Instrumente erfolgte oftmals persönlich.
Leben und Wirken nach dem Ersten Weltkrieg bis zu seinem Tode 1936:
Die schweren Nachkriegsjahre des Ersten Weltkriegs, bedeuteten auch für Oehler und seine Werkstatt zunächst harte Einschnitte. Besonders die Inflationszeit bis 1923 hatte auch für seinen Instrumentenbau erhebliche Konsequenzen. Zwar brach die Nachfrage nach seinen Instrumenten nicht komplett zusammen, jedoch mussten sich viele Orchester und Musiker aus finanzieller Not heraus, dem Spardiktat unterwerfen. Neuanschaffungen wurden zunächst einmal in die ungewisse Zukunft verschoben. Nur dem außergewöhnlich guten Ruf Oehlers war es zu verdanken, dass sein Geschäft diese Zeit halbwegs überstand.
Bis zu seinem Tod 1936, hieß es nun für Oehler immer „Arbeiten unter erschwerten Bedingungen“. Erster Weltkrieg, Inflation, Weltwirtschaftskrise und dann die Machtübernahme der Nationalsozialisten schufen ein schwieriges Arbeitsumfeld. Über seine Rolle im Nationalsozialismus und politische Einstellung war in Aufzeichnungen, trotz intensiver Recherche nichts herauszufinden. Spekulationen ins Blaue hinaus, dienen oftmals nicht zur Wahrheitsfindung. Deswegen wurde dieses Thema hier weitgehend ausgeklammert. Denkbar hier wäre jedoch die Annahme, dass Oehler allein schon aufgrund seines Alters, die politische Entwicklung Deutschlands eher mit gebürtigem Abstand betrachtet hat, und sich in seinen letzten Jahren, vorrangig dem Bau und der Entwicklung seiner Oehler-Klarinetten widmete.
Oehlers Tod 1936 erschütterte die deutsche und auch internationale Musikwelt schwer, mit Josef Rouschil war jedoch ein fähiger und würdiger Werkstatt-Nachfolger gefunden, der das erfolgreiche Oehler-Klarinetten-System bis zum Jahr 1963 dort weiter baute.
Oskar-Neidhardt-Klarinetten, ein Geheimtipp unter Klarinettenfreunden?
Unter der Vielfalt an Klarinetten, deren Herkunft und Qualität gut bis sehr gut dokumentiert ist, gibt es eine, die immer noch zum professionellen Einsatz kommt, aber über die kaum Informationen in der einschlägigen Fachliteratur oder auch im Internet zu finden sind. Die Rede ist hier von der Oskar-Neidhardt-Klarinette!
Vielleicht liegt es auch daran, dass es von diesen Instrumenten nur noch ausgesprochen wenige gibt. Hier und da trifft man mit etwas Glück, noch eine Vertreterin dieser Spezies in Staatskapellen oder bei ambitionierten Sammlern an. Die Wahrscheinlichkeit schwindet aber verständlicherweise von Jahr zu Jahr, ohne Hoffnung auf Besserung. Dabei sind und waren gerade Neidhardt-Klarinetten unter professionellen, ostdeutschen Klarinettisten bis heute sehr beliebt. Selbst nach der Wende wurde, obwohl die Möglichkeit durchaus bestand, eine Oskar-Neidhardt von ihrem Besitzer nicht oder nur selten aus der Hand gegeben. Kenner wissen warum! Der einzigartig, voluminös-bezaubernde Klang des Instruments, nahe am Klangideal der deutschen Klarinette, lässt immer wieder die Herzen von Musikfreunden höher schlagen und trägt dazu bei, dass Neidhardt-Klarinetten immer noch sehr begehrt sind.
Wie schon erwähnt, gestaltet sich die Rekonstruktion der Geschichte und Entwicklung dieses wundervollen Instruments äußerst schwierig, da es fast keine Zeitzeugen mehr gibt und leider auch nur eine geringe Anzahl von aussagekräftigen Dokumenten existieren. Dieses mag vor allem den Kriegsjahren geschuldet sein. Gleichzeitig soll dieser Artikel ein Aufruf an die Fachwelt sein, falls noch in dem einen oder anderen Archiv Dokumente/Informationen zu Oskar Neidhardt schlummern, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich bin über jeden Hinweis, jede Hilfe, die zum Vervollständigen des Bildes über Oskar Neidhardt und seine Klarinetten beitragen, äußerst dankbar. Aber kommen wir zur Geschichte:
Albert Oskar Neidhardt (Vater: Carl Gustav Neidhardt und Mutter: Auguste Emilie Neidhardt, geb. Lorenz), erblickte am 20. Mai 1873 im sächsischen Schöneck/Vogtland das Licht der Welt. Schöneck ist die höchstgelegene Stadt des Vogtlandes und wird dem sogenannten Musikwinkel zugerechnet. Als Musikwinkel bezeichnet man bis heute die Orte Klingenthal, Markneukirchen, Erlbach und Schöneck. Zusammen mit Schönbach und Graslitz auf böhmischer Seite, waren die Orte das globale Zentrum des Musikinstrumentenbaus. Also beste Voraussetzungen, um außergewöhnlich gute Klarinetten zu bauen.
Neidhardt lernte bei Oscar Adler in Markneukirchen und eröffnete am 17. Oktober 1899 eine Werkstatt für Oboen, Flöten und Klarinetten. Die Zusammenarbeit mit der ortsansässigen Instrumentenfabrik G. H. Hüller (Gottlob Hermann Hüller), sicherte in den ersten Jahren die Existenz der Werkstatt und sorgte für genügend Aufträge. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Sohn Wilhelm geboren (geb. 1904;† 1986).
Nach 1920 konzentrierte Oskar Neidhardt seine Arbeit vorrangig auf die Entwicklung seiner System-Klarinetten. In dieser Zeit arbeitete er eng mit dem Soloklarinettisten Wilhelm Sadowsky zusammen. Die Eröffnung einer Werkstatt in Mainz unter dem Namen „W. Sadowsky & O. Neidhardt; Werkstatt für feinste Holzblasinstrumente“; schlug jedoch fehl und die Firma wurde schon bald wieder aufgelöst. Die Gründe hierfür sind nicht genau bekannt, jedoch dürfte die große Entfernung von Schöneck nach Mainz nicht unbedeutend gewesen sein.
Die Werkstatt in Schöneck blieb erhalten. Hier produzierte Oskar Neidhardt weiterhin, auch über die Kriegszeiten des 2. Weltkriegs hinaus, seine hochwertigen Klarinetten. Nach und nach wuchs sein Sohn Wilhelm in die Firma hinein und übernahm sie letztendlich nach dem Tod seines Vaters (8. November 1966).
Im Jahr 1975 übergab Wilhelm Neidhardt die Werkstatt seinem talentierten Neffen Eberhard Scherzer (geb. 1944), der nach der Lehre bei seinem Onkel Wilhelm selbst die Meisterprüfung im Holzblasinstrumentenbau ablegte. Onkel Wilhelm erkannte schnell das Potenzial von Eberhard und sorgte dafür, dass sein Neffe alles Notwendige erlernte, um Klarinetten meisterhaft zu bauen, reparieren und zu restaurieren. Später wurde Eberhard noch zu DDR-Zeiten der Titel „Anerkannter Kunsthandwerker“ verliehen.
Wissenswert ist auch die Tatsache, dass die Firma Oskar Neidhardt selbst zu DDR-Zeiten immer eigenständig blieb und nicht in Volkseigentum überführt wurde. Wahrscheinlich lag es auch an der geringen Stückzahl, der qualitativ sehr hochwertigen Instrumente, die einfach nicht kurzfristig massentauglich waren. Außerdem gab es ja schon den Volkseigenen Betrieb B&S, der in hoher Stückzahl den Instrumentenmarkt der DDR, sowie das sozialistische aber auch kapitalistische Ausland, mit guten Instrumenten versorgte.
So blieb das Unternehmen Neidhardt ein kleiner, feiner, unscheinbarer Diamant im Klarinettenbau der Deutschen Demokratischen Republik.
Eberhardt Scherzer
Herr Scherzer leitete sehr erfolgreich die Werkstatt bis zum Jahr 2006. Dann ging er wegen einer Krankheit in den wohlverdienten Ruhestand. Zusätzlich sei bemerkt, dass Holzblasinstrumentenbau-Meister Herr Eberhard Scherzer, trotz seines fortgeschrittenen Alters, immer noch sehr freundlich und hilfsbereit ist, wenn es um Fragen rund um sein Lebenswerk „Neidhardt-Klarinetten“ geht. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung und hatte die Ehre, im Februar 2021 mit ihm zu telefonieren. Hier möchte ich ihm in aller Öffentlichkeit noch einmal ein großes Lob aussprechen.
Mit etwas Glück, konnte ich ein wunderschönes Oskar-Neidhardt-Solisteninstrument, gebaut in den 50er Jahren erwerben. Das Instrument wurde vom Meister persönlich gefertigt. Besonders interessant ist an diesem Modell der abstellbare Cis-Triller, zu sehen auf dem Foto als Steg zwischen Unter- u. Oberstück. Laut Herrn Scherzer gibt es in Deutschland von diesem Modell nur noch sehr wenige.