von Steffen Liers

Oskar-Neidhardt-Klarinetten, ein Geheimtipp unter Klarinettenfreunden?

Unter der Vielfalt an Klarinetten, deren Herkunft und Qualität gut bis sehr gut dokumentiert ist, gibt es eine, die immer noch zum professionellen Einsatz kommt, aber über die kaum Informationen in der einschlägigen Fachliteratur oder auch im Internet zu finden sind. Die Rede ist hier von der Oskar-Neidhardt-Klarinette!


Vielleicht liegt es auch daran, dass es von diesen Instrumenten nur noch ausgesprochen wenige gibt. Hier und da trifft man mit etwas Glück, noch eine Vertreterin dieser Spezies in Staatskapellen oder bei ambitionierten Sammlern an. Die Wahrscheinlichkeit schwindet aber verständlicherweise von Jahr zu Jahr, ohne Hoffnung auf Besserung. Dabei sind und waren gerade Neidhardt-Klarinetten unter professionellen, ostdeutschen Klarinettisten bis heute sehr beliebt. Selbst nach der Wende wurde, obwohl die Möglichkeit durchaus bestand, eine Oskar-Neidhardt von ihrem Besitzer nicht oder nur selten aus der Hand gegeben. Kenner wissen warum! Der einzigartig, voluminös-bezaubernde Klang des Instruments, nahe am Klangideal der deutschen Klarinette, lässt immer wieder die Herzen von Musikfreunden höher schlagen und trägt dazu bei, dass Neidhardt-Klarinetten immer noch sehr begehrt sind.

Geschichte und Entwicklung:

Wie schon erwähnt, gestaltet sich die Rekonstruktion der Geschichte und Entwicklung dieses wundervollen Instruments äußerst schwierig, da es fast keine Zeitzeugen mehr gibt und leider auch nur eine geringe Anzahl von aussagekräftigen Dokumenten existieren. Dieses mag vor allem den Kriegsjahren geschuldet sein. Gleichzeitig soll dieser Artikel ein Aufruf an die Fachwelt sein, falls noch in dem einen oder anderen Archiv Dokumente/Informationen zu Oskar Neidhardt schlummern, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich bin über jeden Hinweis, jede Hilfe, die zum Vervollständigen des Bildes über Oskar Neidhardt und seine Klarinetten beitragen, äußerst dankbar. Aber kommen wir zur Geschichte:

Albert Oskar Neidhardt (Vater: Carl Gustav Neidhardt und Mutter: Auguste Emilie Neidhardt, geb. Lorenz), erblickte am 20. Mai 1873 im sächsischen Schöneck/Vogtland das Licht der Welt. Schöneck ist die höchstgelegene Stadt des Vogtlandes und wird dem sogenannten Musikwinkel zugerechnet. Als Musikwinkel bezeichnet man bis heute die Orte Klingenthal, Markneukirchen, Erlbach und Schöneck. Zusammen mit Schönbach und Graslitz auf böhmischer Seite, waren die Orte das globale Zentrum des Musikinstrumentenbaus. Also beste Voraussetzungen, um außergewöhnlich gute Klarinetten zu bauen.

Neidhardt lernte bei Oscar Adler in Markneukirchen und eröffnete am 17. Oktober 1899 eine Werkstatt für Oboen, Flöten und Klarinetten. Die Zusammenarbeit mit der ortsansässigen Instrumentenfabrik G. H. Hüller (Gottlob Hermann Hüller), sicherte in den ersten Jahren die Existenz der Werkstatt und sorgte für genügend Aufträge. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Sohn Wilhelm geboren (geb. 1904;† 1986).

Nach 1920 konzentrierte Oskar Neidhardt seine Arbeit vorrangig auf die Entwicklung seiner System-Klarinetten. In dieser Zeit arbeitete er eng mit dem Soloklarinettisten Wilhelm Sadowsky zusammen. Die Eröffnung einer Werkstatt in Mainz unter dem Namen "E. Sadowsky & O. Neidhardt; Werkstatt für feinste Holzblasinstrumente"; schlug jedoch fehl und die Firma wurde schon bald wieder aufgelöst. Die Gründe hierfür sind nicht genau bekannt, jedoch dürfte die große Entfernung von Schöneck nach Mainz nicht unbedeutend gewesen sein.

Die Werkstatt in Schöneck blieb erhalten. Hier produzierte Oskar Neidhardt weiterhin, auch über die Kriegszeiten des 2. Weltkriegs hinaus, seine hochwertigen Klarinetten. Nach und nach wuchs sein Sohn Wilhelm in die Firma hinein und übernahm sie letztendlich nach dem Tod seines Vaters (8. November 1966).

Wissenswert ist auch die Tatsache, dass die Firma Oskar Neidhardt selbst zu DDR-Zeiten immer eigenständig blieb und nicht in Volkseigentum überführt wurde. Wahrscheinlich lag es auch an der geringen Stückzahl, der qualitativ sehr hochwertigen Instrumente, die einfach nicht kurzfristig massentauglich waren. Außerdem gab es ja schon den Volkseigenen Betrieb B&S, der in hoher Stückzahl den Instrumentenmarkt der DDR, sowie das sozialistische aber auch kapitalistische Ausland, mit guten Instrumenten versorgte.
 


So blieb das Unternehmen Neidhardt ein kleiner, feiner, unscheinbarer Diamant im Klarinettenbau der Deutschen Demokratischen Republik.

Im Jahr 1975 übergab Wilhelm Neidhardt die Werkstatt seinem talentierten Neffen Eberhard Scherzer (geb. 1944), der nach der Lehre bei seinem Onkel Wilhelm selbst die Meisterprüfung im Holzblasinstrumentenbau ablegte. Onkel Wilhelm erkannte schnell das Potenzial von Eberhard und sorgte dafür, dass sein Neffe alles Notwendige erlernte, um Klarinetten meisterhaft zu bauen, reparieren und zu restaurieren. Später wurde Eberhard noch zu DDR-Zeiten der Titel "Anerkannter Kunsthandwerker" verliehen.

Eberhard Scherzer
Eberhard Scherzer


Eberhard Scherzer leitete sehr erfolgreich die Werkstatt bis zum Jahr 2006. Dann ging er wegen einer Krankheit in den wohlverdienten Ruhestand. Zusätzlich sei bemerkt, dass Holzblasinstrumentenbau-Meister Herr Eberhard Scherzer, trotz seines fortgeschrittenen Alters, immer noch sehr freundlich und hilfsbereit ist, wenn es um Fragen rund um sein Lebenswerk „Neidhardt-Klarinetten“ geht. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung und hatte die Ehre, im Februar 2021 mit ihm zu telefonieren. Hier möchte ich ihm in aller Öffentlichkeit noch einmal ein großes Lob aussprechen.

Mit etwas Glück, konnte ich ein wunderschönes Oskar-Neidhardt-Solisteninstrument, gebaut in den 50er Jahren erwerben. Das Instrument wurde vom Meister persönlich gefertigt. Besonders interessant ist an diesem Modell der abstellbare Cis-Triller, zu sehen auf dem Foto als Steg zwischen Unter- u. Oberstück. Laut Herrn Scherzer gibt es in Deutschland von diesem Modell nur noch sehr wenige.

Weiterführende Links:

Neidhardt Klarinettist Eberhard Knobloch

 

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